23.3.07

Gewaltige Gedanken

Da wir ja alle jubiläumsgeil sind und zum dreißigjährigen just noch ein paar Entscheidungen anstehen, die nicht ganz einfach zu sein scheinen (wie klar ist der Fall denn?), wird uns das Ding mit der RAF dieses Jahr noch etwas beschäftigen.

Mal davon abgesehen, dass die neubürgerliche Naivität all derer, die nicht sehen wollen, dass auch ein demokratisch verfasster Staat kein guter sein muss und höchstens ein bisschen besser ist und es damit immer noch genug Gründe gibt, sich außerhalb der ihn aufrechterhaltenden Machtordnung zu engagieren (ziviler Ungehorsam?!), echt besorgniserregend ist, will ich zum Thema

"Die Wahl der Mittel"

blogöffentlich nachdenken.

Immer wieder taucht in der Diskussion um die RAF das Argument auf, dass Gewalt der falsche Weg ist, um die eigenen Ziele durchzusetzen. Gewalt wird dabei gern 'an sich' abgelehnt.
Um mitdiskutieren zu können, sollte die eigene Einstellung zur Gewalt klar sein.

Eine unvollständige Reflektion:

Gewalt braucht Aggression. Aggression negieren und ablehnen führt schnell zu Depressionen und anderen Einschränkungen des eigenen Wohlempfindens. Es braucht Wege, die eigene Aggression auszuleben und loszuwerden, sonst zerstört mensch sich selbst.
Wenn dieses Ausleben und Loswerden aber grenzenlos wird, zerstört mensch seine Mitmenschen und seine Umwelt. Wo aber liegen die Grenzen?

Diese Grenzen sind meist Regeln, die Menschen sich fürs Zusammenleben geben. In komplexeren Gesellschaften werden diese Regeln nicht von allen gemeinsam und täglich neu diskutiert, sondern sind über Staatsbildungen, Volksvertreter, Gesetze definiert und können nicht willkürlich geändert werden.
In der BRD (und um diesen Rahmen geht es bei der RAF-Diskussion) heißt das in der Praxis, das Parlamentarier Gesetze erlassen und die Einhaltung der Gesetze durch staatliche Organe überwacht und eingefordert wird.
Dennoch gilt: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." (GG Artikel 20.2) Und weiter: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." (GG Artikel 20.4)
Das mit der Abhilfe ist Auslegungssache. Aber ganz grundsätzlich kann es nicht nur eigene Überzeugung oder Verblendung sein, wenn sich Mitmenschen zum Widerstand organisieren, sondern gar verfassungskonform.
Sobald die staatlichen Organe die Staatsgewalt missbrauchen, wird der Widerstand quasi zur Bürgerpflicht.
[Es geht mir jetzt nicht darum, ob dieser Punkt vor 30 Jahren erreicht war oder nicht, denn darüber ist in einer pluralen Gesellschaft wohl kaum Eindeutigkeit zu erlangen. Es ist allerdings schon interessant, dass damals deutlich mehr Sympathie für die RAF kundgetan wurde als heute.]
Widerstand hieße dann, den Staatsorganen die Staatsgewalt abzuknöpfen und sie wieder selber in die Hand zu nehmen.

Welche Mittel des Widerstands gestehe ich mir zu?

Gewalt gegen Sachen:
Halte ich für absolut vertretbar. Nicht als Selbstzweck und nicht als tumben Triebabbau. Aber wenn damit Ziele verbunden sind, die zum besseren Zusammenleben aller führen können, dann kann das eine Option sein. Wenn immer mehr öffentlicher Raum und öffentliche Funktionen an private Organisationen abgegeben werden oder über Ausschlussmechanismen limitiert werden, ist schon zu fragen, ob die Entscheidungsbefugten noch im Sinne der Masse handeln.
Wenn diese Beschränkungen nicht auf dem Weg der Debatte und der Zusammenarbeit nichtig werden, ist ein Zurückholen angebracht. Letztlich ist jedes Besetzen eines Werktores bei einem Streik Gewalt gegen Sachen. Und dieses Streikrecht wird wohl kaum jemand in Abrede stellen wollen.
Ohne Blockaden von Fabriken oder großen Plätzen und Straßen wären die so genannten bürgerlichen Revolutionen in Osteuropa in den vergangenen zwanzig Jahren ja auch nicht möglich gewesen. Solange die eigene Peer-Group diese Mittel anwendet, ist Gewalt gegen Sachen für fast alle politischen Lager in Ordnung.
Jaja, das waren alles Unrechtsregime und die BRD ist ein Rechtsstaat (mir wäre ein Linksstaat lieber) und deshalb war das dort in Ordnung und hier nicht. Selbst wenn ich dem uneingeschränkt zustimmen würde, bleibt doch: Ganz grundsätzlich ist es ein dummes Argument, diese Form von Gewalt völlig abzulehnen. Es gibt für jeden politisch denkenden Menschen jeweils unterschiedliche Punkte, wo sie angebracht scheint.
Symbolische Gewalt, wie das Sprengen von Gefängnisrohbauten oder das Übermalen bzw. Abreißen von Werbeplakaten kann als Zeichen funktionieren. Muss aber meines Erachtens nach Zeichen bleiben und sollte wiederum mit einem klaren Ziel verbunden sein.

Gewalt gegen Menschen:
Hinrichtungen, politische Morde, Verstümmelungen, Folter lehne ich kategorisch ab.
Aber wenn mir ein Polizist verweigert, die Straße, auf der eine Nazidemo stattfinden soll, zu blockieren, dann werde ich ihn sicherlich nicht mit Waffengewalt angreifen (das tut er schon). Aber wenn es möglich ist, die Absperrung zu überrennen, würde ich es mir überlegen. Und komm mir jetzt keiner damit, dass in Deutschland Meinungsfreiheit herrscht und die Linksradikalen ja auch demonstrieren dürfen. Die Grenzen unseres Rechtsstaates sind vergleichsweise weit gefasst an diesem Punkt. Und mir sind sie, ohne dass ich mich links dieser Grenzen ernsthaft außerhalb verorte, rechts nicht eng genug. Ich sehe mich ganz gut innerhalb der Verfassung und den rechten Mob dennoch außerhalb meiner Toleranzgrenze.
Und wenn ich außerhalb politischer Auseinandersetzung auf freier Wildbahn in der Großstadt körperlich angegriffen werde, werde ich versuchen, mich zu wehren.
Es gibt also Fälle, in denen ich auch gewisse Formen von Gewalt gegen Menschen nicht komplett ausschließe.

Um es kurz und polemisch zu machen:
Der Polizei Schlagstöcke zuzugestehen, gegen eine immer aktiver agierende Armee nicht einzuschreiten und dann dem einzelnen Menschen vorschreiben zu wollen, sie oder er dürfe aber keine Gewalt anwenden, dass ist autoritätshöriger Schwachsinn.

Der RAF sind andere Dinge vorzuwerfen als das Gewaltanwenden an sich. Dass sie ganz ganz schnell nicht mehr politisch agiert hat, sondern quasi egoman, beispielsweise. Zum Morden und Hinrichten hab ich ja schon oben klar Stellung bezogen.
Insofern wäre es (nur ein Beispiel) mehr als dumm, im Juni in Heiligendamm mit einem Holger Meins-Shirt rumzulaufen. Aber den Zaun dort akzeptieren?

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