Wir fördern die geistige Freiheit
Beim Lesen der aktuellen Zitty (02/2007) bin ich darauf gestoßen, dass die Firma Infoscore, eine Tochter der Bettelsmanntochter Arvato, damit Geld verdient, unsere Daten, die wir beim Shoppen so hinterlassen (Payback-Punkte, Überweisung, Mahnungen etc.), so auszuwerten, dass daraus Kundenprofile werden, die gewinnbringend an andere Firmen verhökert werden.
(infoscorePUNKTde, falls Ihr was über Euren „Kundenlebenszyklus“ erfahren wollt)
Schon wieder Bertelsmann, dachte ich und dann dachte ich: Wo hat dieser Konzern denn noch so seine Finger in meinem Leben?
Über die größtenteils vom Konzern finanzierte Bertelsmann-Stiftung werden Think-Tanks beschäftigt, die Visionen „für eine zukunftsfähige Gesellschaft“ entwickeln (bertelsmann-stiftungPunktde). Dazu gehört u.a. das Centrum für Hochschulentwicklung, dessen Uni-Rankings gern von führenden Wochenzeitschriften veröffentlicht werden und im Rahmen inneruniversitärer Verteilungskonkurrenz mittlerweile an vielen Hochschulen zu einer echten Waffe werden. Wie, die Informatik an der Uni X ist nur zweite Liga, während die anderen alle gut abschneiden? Wollen wir nun dieses Informatik-Institut dicht machen oder mehr Geld reinpumpen, dass wir woanders wegnehmen? Mal davon abgesehen, dass meist nur die großen Fächer evaluiert werden und so ein Aufmerksamkeitsdefizit für kleine Fächer entsteht.
Geschickt für Bertelsmann, dass diesen Rankings so viel Gehör geschenkt wird, gehört doch zum Konzern auch das Verlagshaus Gruner+Jahr, nach Eigenangaben Europas größter Zeitschriftenverlag, der beispielsweise den Stern herausgibt und am Spiegel beteiligt ist (Und auch die sogenannten Wissensmagazine wie P.M.-Magazin oder die GEO-Publikationen oder National Geographic verlegt).
Und falls wir die Visionen der Bertelsmann Think-Tanks nicht lesen wollen, dann haben wir gute Chancen, sie zu sehen. RTL, VOX, n-tv, diverse Radiosender und die UFA-Filmproduktion sind nur Beispiele aus den Tochterfirmen der Bertelsmanntochter RTL-Group.
Mit dem Random House Buchverlagskonzern gehören richtig viele Buch-Verlage zu Bertelsmann. Vom christlich-konservativen Gütersloher Verlagshaus über die hochedle DVA hin zu den Krimis und dem Schund von Goldmann. Ein paar Esoterik- und Ratgeberverlage gehören auch dazu. Auch die Bibel von Kleinbloggersorf „Wir nennen es Arbeit“ ist bei einem Bertelsmann-Verlag erschienen: Heyne.
Zur Hälfte gehört Bertelsmann auch noch einer der größten Musikkonzerne dieser kleinen Welt, die BMGSONY. Und auch wenn wir alle keine Vollpopper sind, die eine oder andere Platte aus dem Hause Bertelsmann (Fanta4, Foo Fighters, Wyclef Jean, Bela B.) wird auch bei uns im Regal stehen.
Besonders schön aber sind die Aktivitäten der Bertelsmann-Tochter Arvato. Da gehört das eingangs erwähnte Infoscore dazu. Aber auch die kommunale Verwaltung im nordenglischen Yorkshire. Unser Rathaus: jetzt kompetent geführt von Bertelsmann.
Kurzum: Bertelsmann greift mit den Think-Tanks in die öffentlichen Debatten ein, die Debatten werden in Bertelsmann-Publikationen geführt, wir lesen Bertelsmann, wir sehem Bertelsmann fern, wir hören Bertelsmann. Bertelsmann koordiniert unsere Konsum-Datensätze für Marktanalysen und wären wir aus Yorkshire, koordinierte Bertelsmann auch noch die Datensätze, die unsere Dasein als Staatsbürger dokumentieren.
Muss mir diese Omnipräsenz Angst machen? Natürlich nicht. Denn:
„Bertelsmann ist ein internationales Medienunternehmen. Wir vermitteln Informationen, Unterhaltung und Mediendienstleistungen und wollen damit Menschen inspirieren. [...]Wir fördern die künstlerische und geistige Freiheit, den Schutz von Demokratie und Menschenrechten, den Respekt vor Traditionen und kulturellen Werten; deshalb spiegeln unsere Inhalte eine Vielfalt von Einstellungen und Meinungen wider. [...] Unsere Firmen achten Recht und Gesetz und lassen sich von ethischen Grundsätzen leiten. Sie verhalten sich gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt stets verantwortungsbewusst.“
So steht es in den „Bertelsmann-Essentials“. Und warum soll ich das nicht glauben? Wegen ein paar kritischen Meinungen? Ach nö.
Ein Rundum-Sorglos-Paket.
Danke, lieber Bertelsmann-Konzern, dass es Dich gibt. Ich gehe jetzt Brave New World lesen.
2 Kommentare:
Lieber Björn,
was für ein leckeres Abendbrot hast Du uns da gezaubert!
Auch wenn das Brot, die Butter und der Brotbelag aus dem Supermarkt waren, ergibt es zusammen doch eine sättigende, leckere Stulle!
Na dann: Brot Mahlzeit!
Das eklige ist, dass unsere Verschwörungstheorien, die wir hier hin und wieder aus Spass zeichen, in der Praxis schon umgesetzt werden.
Das einzige, was mich noch beruhigt - abgesehen davon, dass ich mir Mühe gebe, kaum Daten zu hinterlassen und weder Stern/Spiegel lese noch Sony höre (allein aus geschmacklichen Gründen, noch nicht aus politischen) -, was mich noch beruhigt ist also, dass dieser Bertelsmann, von dem hier so viel die Rede ist, eben ein Riesenkonzern ist und ich mir nicht vorstellen kann, dass die paar Leute gaaanz oben wirklich alles steuern können. Denen geht es nur um Profit/kein Profit, und danach sortieren die wahrscheinlich. Das ist schon Eingriff in gesellschaftliche Strukturen genug, klar, aber so läuft die kapitalistische Welt eh. Angst würde ich kriegen, wenn Minderheiten, Ideen etc. ausgegrenzt würden. Das passiert mit Sicherheit auch dort. Aber von ganz oben?
Wehe Du lieferst einen Beweis!
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