Ich bin nicht "wir Deutschen"
Immer wieder montags...
Der Spiegel titelt heuer:
Die Erfindung der Deutschen. Wie wir wurden, was wir sind.
Nein, lieber Spiegel. Du tust nicht gut daran, diesen neu-patriotischen Scheiß mitzumachen, wieder eine kollektiv-nationale Wir-Identität für Deutschland zu behaupten. Es gibt immer noch gute Gründe, warum "wir" das bis vor wenigen Jahren tunlichst vermieden haben. Weil so ein "wir" ausgrenzt. Weil "wir" doch gar nicht wissen, wer wir sind.
Ja, klar: irgendwie sind "wir" wieder wer. Nicht seit dem Wankdorf-Stadion. Nein, seit rund drei Jahren, seit dem "wir" auch mal Opfer im großen Krieg sein wollen, seit "wir" uns dagegen wehren, über Dresdens Zerstörung wegen Ausschwitz schweigen zu sollen. Es hat rund 60 Jahre gedauert, es brauchte die Einheit, die Beteiligung "unserer Jungs" an Angriffskriegen und eine WM im "eigenen Land", bis das "wir" wieder salonfähig war.
Fällt das eigentlich wieder nur mir (und den paranoiden Antideutschen, zu denen ich mich nicht zähle) auf, dass das mit dem "wir" mittlerweile Konsens ist, wenn über die Bundesrepublik Deutschland oder manchmal auch nur die Bundesregierung gesprochen/geschrieben werden soll? Nicht nur beim Spiegel, es ist weit verbreitet, auch in der eigentlich so nüchternen Tagesschau.
Wer ist dieses "wir"? Alle BürgerInnen der BRD? Oder gar alle, die innerhalb der Grenzen dieses Staates leben? Oder hat das immer noch was mit Blut und Boden zu tun? Der Fall Murat Kurnaz (Er ist laut Pass Türke, also schauen "wir", dass er in Guantanamo bleibt) gibt Hinweise auf die Antwort.
Aber es geht auch harmloser: "Wir haben die EU-Ratspräsidentschaft inne." Solche und ähnliche Sätze kann mensch durchaus lesen. Und sie sind falsch. Ich habe diesen Job nicht zu erledigen. Ich habe diese Regierung nicht gewählt und will nicht mit ihr identifiziert werden.
Wie auch immer, zu einem solchen "wir" gibt es immer das ab- bzw. ausgrenzende "ihr". "Ihr" können Freunde sein, die dann in eine privilegierte Partnerschaft abgeschoben werden. Oder das "ihr" ist der welsche Bruderfeind, den "wir" zwar dauernd angegriffen haben, aber dennoch seine Sprache in der Schule pauken mussten. Auch Antisemitismus und "unsere" Spezialversion davon kann nur mit einem "wir vs. ihr" funktionieren.
Ich will nicht bestreiten, dass mensch über sein "ich" hinaus kollektive Identitäten braucht. Aber es gibt harmlosere als die völkische.
1 Kommentar:
Das Wir ist frühestens in der Presse wieder in seit der Kampagne Du bist Deutschland. Wir sind Weltmeister, wir sind Papst etc. haben ihren Teil dazu beigetragen.
Meine Meinung kennst Du: Ich sag lieber "wir Deutschen müssen was ändern, ... können glücklich sein" als "das System/der Staat muss was ändern".
Bei "wir [Berliner/Deutschen/Mitmenschen] verstehen uns nicht" fühle ich mich immer noch aufgehobener als bei "das System versteht mich nicht".
Und natürlich hat der Spiegel wieder nur in seinen Titelgenerator gegriffen. "Wir" gehört da wohl genauso rein wie "Rot-China".
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