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Als in dem kleinen Dorf, in dem ich aufzuwachsen hatte, der erste REWE eröffnet wurde und sich ein Schleckermarkt angesiedelt hatte, war Schluss mit dem Tante Emma-Laden mitten im Wohnviertel. Einkaufen ging die Hausfrau (wer sonst?) künftig mit der Familienkutsche am Dorfrand. Und wir Kids investierten unser Geld künftig eben in die Markenschokoriegel großer Konzerne. Es gab kein Esspapier mehr, auch keine einzelnen Wassereise oder aus der runden Plastikdose herausverkaufte Colakracher und saure Schlangen. Diese Form der Genussmittel musste mit dem kleinen Laden den großen Ketten weichen und ich hatte das erste Mal in meinem Leben eine Ahnung von dem, was Kapitalismus auch sein kann: Verdrängung kleiner Betriebe und Uniformisierung der Warenwelt.
Ich war noch keine zehn Jahre alt.
Dieses Trauma auf der Seele lasten habend war ich umso fröhlicher, als ich in der großen Stadt die Einrichtung des Spätkaufs entdeckte. Bei mir in der Straße gibt es drei. Alle werden sie von Türken geführt, alle haben sie Esspapier, einzelne Wassereise oder aus der runden Plastikdose herausverkaufte Colakracher, die es für wenig Geld zu kaufen gibt. Wie früher. Toll. Und ein Beweis dafür, wie türkische Ladenbesitzer die deutsche Tradition des kleinen Tante Emma Ladens aufrechterhalten (Emmas Sohn heißt übrignes Osama, aber das wusstet ihr schon, oder?).
Und alle drei Spätkaufs in meiner Straße haben so ihre Eigenarten.
Der Besitzer des einen lässt Postkarten von seinem Hund drucken und verschenkt an seinem Geburtstag Süßigkeiten an die Kinder, was er mit liebevoll selbstgestalteten DinA4-Zetteln im Kiez kundtut. Der Besitzer des zweiten Ladens sieht aus, wie ich mir den typischen türkischen Chauvi vorstelle, und behandelt auch seine Schwester so. Und dann treffe ich ihn in seinem Laden und er ließt gerade völlig versunken einen Aufsatz über Friedrich Ebert im aktuellen Geo Epoche.
Der dritte Laden hat seit einigen Monaten auf. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Seine Colakracher und saure Schlangen schmecken alt und wenn nicht gerade ein Zehnjähriger kurz vor Mitternacht an der Kasse sitzt, dann hat meist der Typ mit der fiesen Narbe auf der Stirn Schicht. Die Narbe hat er, seit er vor ein paar Wochen sich mit einem betrunkenen Deutschen angelegt hat, der im Verlauf des Streits nicht nur handgreiflich wurde, sonder sich auch noch rassistisch äußerte. Der Verkäufer hat diesen netten Kunden dann auch halb tot geprügelt.
Ist nicht immer lustig, wenn ich hier nachts aufwache, weil es draussen laut zugeht.
1 Kommentar:
Hihi. Ja, das hatten wir seinerzeit im DTC in Stuttgart schon regelmaessig gehabt. Der Einzelhandel wird tuerkisch, die Tante Emma zum Onkel Ahmet. Ich finds per se fein, aus den genannten, nostalgischen gruenden wie auch der Geschichte, dass es gerade genug (und immer mehr) Menschen gibt, die eben nicht mehr auf die gruene Wiese mit dem Auto fahren koennen, um ihr Essen zu kaufen.
Kehrseite: grade in den von Migranten gefuehrten Geschaeften funktionierts wirtschaftlich bloss, weil eben kollektive, drastische Familienausbeutung betrieben wird. Die tante Emmas haben nicht alle aus Altersschwaeche zugemacht, die haben einfach nicht mehr genug verdient, und das ist heute nicht wirklich anders.
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