23.5.08

But if I did I would kneel down and ask Him not to intervene when it came to you

Nick Cave das Attribut des Predigers zu verleihen, ist eigentlich das Spiel mit einem mehr als tot- feuilletonisierten Topos. Zu oft wurde auf den alttestamentarisch anmutenden Texten und den kirchen- musikalischen Referenzen seiner Songs herumgeritten. Spätestens seit dem biblisch betitelten neuen Album "Dig, Lazarus dig!!!" und dem Kinoepos "There will be blood", in dem er als Musiker kurz auftritt, leider aber nicht die Rolle des irren evangelikalen Seelenfängers einnahm, müsste dieser Vergleich trotz aller Berechtigung eigentlich durch sein.
Allein, ich kann nicht anders:

Die Präsenz, die Energie, die Lautstärke mit der Nick Cave gestern im Berliner Tempodrom begeisterte haben mich ernsthaft ergriffen. Und es war nicht nur der treibende Rock vieler Stücke, der mir ordentlich das Hirn durchgeblasen hat. Es waren viel mehr die eigentümlich harmonisch neuarrangierten alten Songs, die zwar schon in ihrer Brutalität und Sperrigkeit ihresgleichen suchen, aber in den sanften Gewändern, in denen sie nun daherkamen, nichts an ihrer Eindrücklichkeit verloren, sondern an Magie gewonnen haben. Gleich der dritte Titel gestern: "Tupelo", das kleine Epos um die im Unwetter untergehende Stadt, das auf Platte mit metallischen Klängen dem Inferno der Wassermassen nachspürt, wurde zu elegischer Traurigkeit, zu süßer Melancholie und hat zumindest mir feuchte Augen beschert.
A propos metallisch: Es muss nicht schneller Heavy sein, der einem ein Brett vors Ohr knallt. Die Bad Seeds schafften es, selbst gebremste, schleppende Stücke mit einer Wucht ins Betonzelt zu jagen, das es ein Fest war.

Es war vielleicht auch das i-Tüpfelchen gestern, dass auf der Bühne eben ein Fest zelebriert wurde. Die kraftvolle Darbietung der Musik, immer wieder die Lautstärke, aber auch eine einfache und sehr helle Lichtschau, die vor allem davon lebte, auf einer Riesenleinwand hinter der Band stimmungsvoll satte Farben überfließen zu lassen (selbst die Graustufen-Kontraste zu einigen Songs waren nicht düster), machten das Konzert zu einem in keinster Weise überfrachteten aber dennoch knalligen Spektakel.

Den Prediger Nick Cave hätte zumindest ich eher bei einer dunklen Messe erwartet. Gestern aber hatte das Konzert lange Phasen, in denen es einem Gospelfestival glich. Was wohl auch daran lag, dass Nick Cave offensichtlich seinen Spaß am Spiel auslebte und extrem gute Laune hatte. So gute Laune gar, dass der langjährige Fan, der mich begleitete, ganz fröhlich-verwundert festellte, den Meister das erste Mal mit einem Lächeln erlebt zu haben. In dieser Laune wurde selbst "Mercy Seat" zu einer Art positivem Motivationssong; so positiv, dass die letzte Songzeile "i'm afraid, i told a lie" in ihrem Zynismus beinahe nicht mehr passte.
Eigentlich blieb nur "Stagger Lee" am Ende des Konzerts in der gewohnt destruktiven Form, aber auch hier waren die Wut und die Aggression vor allem Zitate, die von der Band umgesetzt wurden in ganz große Spielfreude.

Ich habe eines der besten Konzerte seit Jahren gesehen, der frenetisch applaudierenden Masse ging es wohl ähnlich und den katholischen Agnostiker in mir freut es ungemein, dabeigewesen zu sein, als Nick Cave am gestrigen Frohnleichnamstag derart fröhlich seine dunklen Predigten ins Volk geschleudert hat. Happy Kadaver!


Alle Bilder cc bei him.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hach! Schön beschrieben. Genau so war es. Ich spüre es nach und fühle mich 23 Stunden zurückversetzt.
Hast eine schöne Bildauswahl getroffen.
Es war bis dato das wirklich das bunteste Konzert Nick Caves und wie Du es gut beschreibst, die "einfache und sehr helle Lichtschau ... stimmungsvoll satte Farben"