Mit Sicherheit ausgewogen
In Japan ist seit heute G8-Gipfel und die Berichterstattung der Tagesschau zu diesem Ereignis war gestern mal wieder ein Lehrbeispiel dafür, wie es nicht geht.
Wie jedes Jahr fragt keiner nach, was da außer Palaver geschieht. Denn dann wäre der Gipfel ja keine Nachricht mehr wert. Lediglich kurz wird gesagt, das die Gipfelgegner das alles für hohle Phrasen halten. Nun ist dies aber keine Meinung, sondern weitgehend nachprüfbares Faktum.
Die G8-Regierungschefs können gar nicht mehr als Absichtserklärungen verkünden, denn sie sind alle mehr oder weniger von demokratischen Entscheidungswegen in ihren Ländern abhängig. Würden sie sich konkrete Ziele setzen, müssten die in den jeweiligen Ländern erst beschlossen werden. Und das finden wir doch eigentlich richtig, dass es kein Meeting absolutistischer Herrscher ist, sondern zu einigen Teilen zumindest "nur" die Gesprächsrunde von den Obersten der Exekutive demokratischer Staaten, in denen die Entscheidungen eben die Legislative fällt.
Desweiteren gibt es da eine gewisse Abhängigkeit der Entscheidungsfindungen von den Interessen der Wirtschaft. Und sicher mag da auch mal Unfähigkeit und mangelnder Wille der Akteure eine Rolle spielen. Aber es ist ganz gleich, was die Staats- und Regierungschefs in ihrer Handlungsfreiheit einschränkt. Egal ob die gute Demokratie oder die weniger gute Macht der Konzerne oder was sonst, die haben keine große Handlungsgewalt, weder in Heiligendamm, noch auf japanischen Ferieninseln.
Statt dies zu beleuchten, werden die Weltretter-Sprüchlein der G8-Clique von der Tagesschau weitergetragen. Und diese Art der Berichterstattung trägt einen großen Teil zur sogenannten Politikverdrossenheit und zum angeblich zurückgehenden Vertrauen in die Demokratie bei.
Wenn die, die über die hohe Politik berichten, ohne kritischen Blick so tun, als wären demokratische Führungen mit absolutistischen Machtbefugnissen ausgestattet, gaukelt den Nachrichtenkonsumenten vor, die da oben richten es schon. Tun sie aber nicht, weil sie es aus den unterschiedlichsten Gründen nicht können. Da uns aber das Gegenteil behauptet wird, sind wir in unserem passiven Hoffen auf unsere Politiker frustriert. Wir verlieren unser Vertrauen in die Politik, die uns präsentiert wird. Das ist aber nicht die Demokratie. Das sind mehr oder weniger schlechte Demokraten, an die monarchistische Ansprüche angelegt werden.
Ansprüche, die die Politiker oft selbst nahelegen. Doch statt diesen Schwachsinn nachzuplappern, wäre es dringend vonnöten, ihn aufzudecken. Wenn alle sähen, dass das undemokratische Selbstverständnis der gewählten Herrscher das Problem ist und nicht das System, dann würde sich auch nichts ändern hätten die da oben eine Krise, nicht aber die Staatsform. Solange aber nicht hinter die Rhetorik der Macht geschaut, sondern diese weitergetragen wird, vermittelt der Träger (im gestrigen Fall die Tagesschau) uns, dass die Reden (noch nicht mal die Taten) der (Ohn-)Mächtigen gleichzusetzen sind mit der Staatsform. Hohles Gewäsch gleich schlechte Demokratie. So wird aus dem, was angeblich die vierte Säule der gewaltengeteilten Volksherrschaft ist, deren Totengräber. Einmal mehr.
Sicher ist der mediale Remix der real existierenden Demokratie nur ein Teil des Problems. Doch wer immer nur die Worthülsen der Politik ungefiltert weitergibt, hilft bei der Verdummung aller mit. Wenn die Aussagen der politischen Kaste von niemandem mehr reflektiert werden, fehlt es denen ebenfalls am Korrektiv und sie beginnen an ihre eigenen rhetorischen Kunststückchen zu glauben. Ein weiteres Beispiel aus der gestrigen Tagesschau: Es gab einen Bericht über eine "friedliche" Demonstration von Gipfelgegnern (ab ca. 4:55) weitab vom Tagungsort. Mehre hundert Protestler standen 20 000 Polizisten gegenüber, die laut Tagesschau für "Sicherheit" sorgten (ca. 5:16).
Nun ist Sicherheit ein hohes und damit erst einmal kaum näher geklärtes Gut. Was meint "für Sicherheit sorgen"? Für wessen Sicherheit? Schwingt in dieser Formulierung nicht mit, dass die Demo ohne diesen Polizeieinsatz unsicher gewesen wäre? Ich mag etwas voreingenommen sein, was Protestberichterstattung angeht, aber seit "Sicherheit" die Phrase ist, um auch in Deutschland, Menschen- und Bürgerrechte zu untergraben (Datenvorratsspeicherung, biometrischer Pass, Einwanderungstest etc.), wünsche ich mir einen vorsichtigeren Umgang mit diesem Wort. Ein friedlicher Demonstranten unter Hunderten gegenüber von 20 000 Polizisten wird sich gestern wohl eher erdrückt als sicher gefühlt haben. Für Sicherheit sorgen ist also keine sonderlich objektive Formulierung. Im Land des embedded journalism geht das sachlicher. Auf CNN hieß es gestern lapidar, die Polizei hätte die Demonstranten von den Politikern fern gehalten.
Aber die Abendausgabe der Tagesschau schafft es nicht einmal beim Sport kritisch zu berichten (was im Heute Journal des ZDF nicht anders war). Von der Tour de France gab es den spannenden Schlusssprint zu berichten, die Ergebnisse, die Platzierung der besten Deutschen. Dass aber der gestrige Verteidiger des gelben Trikots, Alejandro Valverde, massiv unter Dopingverdacht steht, wurde nicht erwähnt. Dabei gibt es dazu einen Artikel auf den Seiten der ARD im Internet. Arme Menschen, die sich nur übers TV informieren können.
(Und für alle, die das eh schon alles wussten: Mir ist dieser unkritische Journalismus bei der Tagesschau auch nicht neu. Und die Tagesschau hatte einfach Pech, dass ich sie gestern gesehen habe, bei anderen Nachrichtensendungen lassen sich leider ziemlich sicher ähnliche Dinge finden. Ich schreib dennoch zum xten Mal drüber, weil es mich immer wieder aufs Neue ankotzt. Und sich wissend abwenden hilft mindestens so wenig, wie sich immer wieder aufregen.)
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