13.9.08

Den eigenen Kiez alternativlos machen

Meine Idee vom Zusammenleben in einem Kiez ist die möglichst unterschiedlicher Lebensformen, die sich gegenseitig aushalten.
Ich stelle mir eine soziale Durchmischung vor, die von der Wagenburg über kleine Mietwohnungen hin zu Lofts und Privatvillen alles zulässt. Eine Welt, in der große Veranstaltungshallen und kleine Clubs, Fabriken und Werkstätten, Supermärkte und Krämerläden endlich wieder beieinander stehen.
Naiv, was?
Es scheint so. Bestes Beispiel dafür ist seit einiger Zeit wohl Berlins Doppelbezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Während mensch hierzulande zumindest vergangenes Jahr noch als mutmaßlicher Terrorist ins Gefängnis kam, weil mensch das Wort Gentrifizierung in Texten verwandte, ist das in den USandA offenbar ein positiv besetzter Begriff in Immobilienanzeigen fürs betuchtere Publikum. Und so wurde bei der New York Times dieser Tage ein Luxus-Appartment in einem sanierten Altbau in der Kreuzberger Katzbachstraße mit u.a. folgendem Text angeboten (via):

Kreuzberg, a fashionable neighborhood on the western side of the Berlin Wall in the heart of the unified city, is home to students, artists and young families. This historically Turkish immigrant neighborhood has in recent years undergone a gentrification process; there are upscale shops and a diverse array of restaurants, as well as a newly renovated market hall specializing in regional and organic foods.

Die 168 Quadratmeter-Wohnung mit Designer-Küche und Bad kostet gute 400.000 Euros. Nun kann mensch ein paar Witze über die Beschreibung Kreuzbergs als historisch türkisches Einwandererviertel westlich der Mauer machen und sich dabei wieder den geschichtslosen AMis überlegen fühlen. Oder sich klarmachen, dass das Appartment über eine amerikanische Agentur für den dortigen Edelmarkt angeboten wird, was zusammen mit dem Preis (der im Metropolenvergleich sehr sehr billig ist, aber für das Viertel… nunja.) vielleicht ein Indiz dafür ist, wie lange Kreuzberg noch Heimat für durchscnittliche Studierende, Künstler und junge Familien sein kann.
Diese Anzeige kam passend zur Eröffnung der Veranstaltungshalle mit dem Mobilfunkanbieternamen an der Spree, die ja Teil einer "Aufwertung" von Friedrichshain-Kreuzberg ist.
Was soll ich sagen. Ich habe grundsätzlich nichts gegen große Veranstaltungshallen. Ich habe auch nichts gegen Designerbäder. Meine Idee von sozialer Gerechtigkeit ist weder Gleichmacherei noch pietistischer linksdogmatischer Konsum- und Luxusverzicht. Aber eben auch nicht Verdrängung Schwächerer aus den Kiezen. Mieter- und Mietpreisschutz wären da beispielsweise Instrumente zur Steuerung. Aber sicher nicht staatliche Subventionierung beim Bau der Anschutzarena, die nun ihre Gewinne aus dem Betrieb privatwirtschaftlich behalten kann.

Für mich ist die Forderung nach dem Spreeufer für alle, die richtige. Damit stehe ich auch dem Protest gegen "mediaspree" erstmal sehr nahe. Aber "für alle" heißt dann auch für die Wohlhabenden und für größere Firmen, nicht nur für Kollektive und Projekte aus der linksalternativen Ecke. Und auch Clubs für die Jungen, Strandcafé für die Alten. Etc. pp.
Es heißt aber sicher nicht, wie sinngemäß auf der Demo gegen die Eröffnung der Sauerstoffwelt am Mittwoch: "Wir wollen hier keine Yuppies, die Latte trinken und MTV schauen!"
Was eine eingeschränkte, spießige, weltfremde Idee vom realen und angeblichen Gegner. Schade.

Besser beschrieben hat das Problem Spreeblick-Johnny, mit dem ich da wohl einer Meinung zu sein scheine.

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