Familienportrait
Ferien sind gefährlich. Fast so gefährlich wie Weihnachten. Alle haben Erwartungen an die Ferien. Und meist passen diese Erwartungen nur bedingt zusammen, wenn die Ferien gemeinsam verbracht werden.
Laura und Paul fahren mit ihren beiden Kindern zu Lauras Mutter in die Uckermark. Schön ist es da. Sonnig ist es. Die Kinder können herumtoben. Der große Tisch im Garten lädt ein zum Zusammensitzen. Tage- und Nächtelang mit viel Rotwein aus kleinen Bechern. Der Wind geht durch die Bäume und frischt die Sommerluft auf.
Aber: Lauras Mutter mag ihr Landhaus nicht mehr. Lauras pubertierender Halbbruder langweilt sich mit seiner ersten Liebe durch die Sommerferien. Wenn es nichts zu tun gibt, ist Freizeit echt öde. Und Laura geht gleich nach der Ankunft erstmal alleine spazieren, weil sie ihre Mailbox abrufen will. Lauras Oma ist schwerkrank, will es aber nicht wahrhaben. Lauras Schwester kommt aus dem Ausland zur Familienzusammenführung, ist aber bald von der „selbstgerechten“ Schwester genervt.
In den Ferien kann mensch sich nicht vom Alltag erholen. In den Ferien brechen die im Alltag leise nebenher laufenden Konflikte auf. In den Ferien bekriegen sich die Wunschvorstellungen derer, die doch gemeinsam eine gute Zeit haben wollten. Während die Kinder planschen, müssen die Erwachsenen das tun, was sie zu vermeiden gehofft haben: ihr schon länger zerschlagenes Porzellan anschauen. Aus der angedachten Erholung wird trotz gelegentlich schöner Momente eine Tour der Leiden inmitten herrlicher Natur und bei bestem Wetter.
In Thomas Arslans Film „Ferien“ zwingt uns die Kamera dieses Treiben als Voyeure zu betrachten. Sie bewegt sich einfach nicht. Selbst wenn sie eine Autofahrt begleitet, erlaubt sie sich keinen Schwenk, keinen Zoom. So hat jede Szene, egal wie lange sie dauert, ihre eine Kameraeinstellung und wir als Zuschauer unseren statischen Bildrahmen, durch den wir das Geschehen beobachten. Dabei sind wir seltenst nah dran, oft sehen wir keine Details, vor allem die Mimik der Figuren droht immer wieder, verloren zu gehen, weil sie im Schatten versteckt ist, oder außerhalb des Fokus. Doch der Bildrahmen ist ein schwacher. Er macht gerade in seiner Begrenztheit und durch seine Unverrückbarkeit klar, dass er nur einen Ausschnitt zeigt. Neben, hinter, über, unter dem Rahmen findet auch etwas statt. Wir hören das, wir ahnen das, wenn etwas oder jemand ins Bild hereinlugt, ohne sich darin zu etablieren.
Dieser Kniff der Darstellungsebene, die das begrenzte Blickfeld von uns Menschen imitiert und in ihrer Statik dennoch künstlich bleibt, versetzt die Zuschauer in einen andauernd Konflikt zwischen Teilnahme und Distanz und intensiviert so das Erleben der familiären Spannungen, die diese Ferien beispielhaft für unzählige Urlaube und Familientreffen des ewig kriselnden bürgerlichen Familienkonstrukts durchdeklinieren.
Heute abend läuft Ferien nochmal im Rahmen des Berlinale-Forums. Ansonsten gibt es bisher noch keine weiteren Vorführtermine. Bleibt zu hoffen, dass der Film nicht nur im Spätprogramm des koproduzierenden öffentlich-rechtlichen TVs zu sehen sein wird.
2 Kommentare:
... was auch nicht das Schlimmste ist, denn ich habe im Zuge der Berichterstattung über die Berlinale gelernt: Es gibt die ZDF-Mediathek, bei der man sich online Highlights noch ein- oder auch tausendmal angucken kann. Aber Du wolltest wohl eher darauf hinaus, daß es schön wäre, möglichst viele Menschen könnten ohne Extra-Online-Suchaufwand diesen von Dir geschätzten Film sehen. Möge der Intendant gnädig sein.
Oh man, Björn! Du postest ja schneller, als die Polizei erlaubt. Ich hab noch nicht mal mehr den letzten Post wiederfinden können, den ich bei Dir vor zwei Tagen noch gelesen hab.
Schade, dass man Dich für Deine 1A-Berichterstattung nicht entlohnen kann - also, ich kann das jedenfalls leider nicht. Vielleicht solltest Du mal eine Kontonummer angeben, über die man Dich sponsorn .. sponsern .. spon .. unterstützen kann.
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