Keine Gewalt
Ich wohne an einer der wenigen Strecken, die den Flughafen Tegel mit dem Regierungsviertel in Berlin verbinden. Wichtige Politiker aller Welt fahren deshalb gerne mal bei mir vorbei. Meist werden sie von der Polizei dabei vor mir und meinen Nachbarn geschützt.
Gestern stand ich auf dem Weg zur Körperertüchtigung an der Bushaltestelle und hatte schon fast wieder vergessen, dass im ganzen Viertel seit einer halben Stunde Bereitschaftspolizei stand, als die Straße durch mehrere grün-weiße Streifenwagen und Motorradstaffeln für den Feierabendverkehr der Berlinerinnen und Berliner gesperrt wurde.
Kurz bevor die gepanzerten Karossen mit den abgedunkelten Scheiben an der Bushaltestelle vorbei brausten, raste ein grün-weißer Kastenwagen auf uns zu und hielt mit quietschenden Bremsen. Vier Behhelmte und damit nicht zu erkennende Polizisten in Kampfmontur sprangen aus dem Wagen und bauten sich vor uns auf, in der Hoffnung sie könnten so die zehn bis fünfzehn auf den Bus Wartenden davon abhalten, den Staatskarossentross auf seinem Weg zu behindern.
Wir aber hatten uns vorbereitet. Wir sahen nur aus wie Rentner, Alkis, Müter mit Kinderwägen und leicht adipöse Blogger. Wir waren in Wahrheit die neue Terrorzelle und hatten die vier armen Polizisten schnell überrumpelt, die Straße blockiert, den Staatsgast gefangen und...
Ach nee, wir waren doch nur harmlose ÖPNV-Nutzer im Wartestand.
Friedliche Menschen, die in ihrem Alltag mit der uniformierten Macht des Staates konfrontiert wurden.
Wenn mir so eine grüne Kampfmaschine gegenübersteht, wenn ich auf dem Weg ins Schwimmbad auf einmal ohne mein Zutun zur potentiellen Gefahr für einen Politiker in einer gepanzerten Limousine werde, dann stehe ich ziemlich machtlos ganz schön viel Gewalt gegenüber.
Wenn ich aber ab Samstag gegen die Politik der G8 demonstrieren will, dann soll ich das bitte gewaltfrei machen, sagt der Herr Innenminister.
Nur dumm, dass das schon jetzt nicht mehr geht, bei so viel Staatsgewalt, die in martialischem Aufzug kontrolliert, dass ich auch nur da demonstriere, wo sie es mir erlaubt. Die sogenannten Sicherheitsmaßnahmen des Staates sind mit dem Stacheldrahtzaun, den Razzien, den Geruchsproben, den seit Tagen in großen Konvois auf den Autobahnen nach Norden fahrenden Polizeitruppen und ihren Wasserwerfen und Räumpanzern schon so gewalttätig, dass schon jetzt gerade die, die Gewaltfreiheit fordern, diese Forderung nicht erfüllen können und wollen.
Wie leer diese Lippenbekenntnisse pro Demonstrationsfreiheit sind, zeigt nicht nur das Vorgehen der Polizei gestern beim Treffen der G8-Aussenminister in Postdam (irgendwie via), sondern auch, dass sie erst kamen, als die Kritik an der autoritären Paranoia der zur Zeit Herrschenden auch im neoliberalen Lager ziemlich (via) deutlich (via) wurde.
Dennoch kann mensch ja nun scheinbar beruhigt sein, solange er oder sie nicht vorhatte, Steine zu werfen. Gewaltfreies Verhalten ist ja jetzt von ganz oben erlaubt.
Interessant ist dabei aber, erstens wie Schäuble und Co. Gewaltfreiheit verstehen und zweitens wann sie mögliche Gewalt eindämmen wollen/werden/könn(t)en:
1. Gewaltfreiheit heißt, sich im Rahmen des Erlaubten bewegen. Das Blockieren einer Straße ist verboten, da kann mensch noch so behutsam auf den Asphalt sitzen und noch so wenig Widerstand beim Wegtragen leisten, Blockieren ist verboten, also Gewalt und wird mit aller Härte geahndet.
Erlaubt ist nur Latschdemo weit weg von den Herrschenden. Der Gipfel muss störungsfrei laufen können, die Entschlüsse dort müssen gefasst werden können, die Politiker müssen die Chance haben sich aussuchen zu können, was sie an Protest aus den Medien rezipieren wollen. Wie demokratisch.
2. Schon jetzt ist es gang und gäbe, dass anhand von Bildern oder Personenkontrollen Menschen im Vorfeld am Protest gehindert werden, weil sie von der Polizei als gewaltbereit eingestuft werden. Da werden viele noch mit einverstanden sein. Bei Hooligans läuft das ja auch so und da beschwert sich auch keiner.
Auch wenn anderes beteuert wird, die Geruchsproben von G8-Kritikern können nicht nur zu Ermittlungszwecken NACH Gewalttaten genutzt werden (was schlimm genug ist), die Spürhunde können auch im Vorfeld schon die unliebsamen Gipfelgegner herausschnüffeln.
Und wenn ein Bahnschaffner den Verdacht hat, dass Zugreisende mit G8-kritischen Plänen Richtung Deutschlands Ostseeküste unterwegs sind, dann muss er dass der Polizei melden. Die kann dann noch vor Bad Doberan oder Rostock entscheiden, ob sie die vom Schaffner verdächtigten auch nur in die Nähe der Demonstrationen lässt. Die Bahn betreibt hier vorauseilenden Gehorsam und erniedrigt ihre Mitarbeiter zu Spitzeln. Von wegen Stasi 2.0, das ist ganz alte old school, baby.
Der Staat zeigt sich gewaltbereit. Der Statt bestimmt, was wir unter gewaltfrei zu verstehen haben. Der Staat baut sich ein undemokratisches Mittel nach dem anderen auf, um im Vorfeld entscheiden zu können, wen er auf die Protestveranstaltungen lässt und wen nicht.
Scheiß Staat.
2 Kommentare:
Ich hätte da noch einen netten Tipp zum Thema Onlinedurchsuchung, Bespitzelung und Abhören:
http://members.lycos.co.uk/g8enigmail/
Das Schlimmste an den Geschenissen ist, dass ich desto mehr ich drüber nachdenke, desto mehr habe ich das Gefühl durchzudrehen. Jeder kann sehen was passiert. Jeder sollte spüren, dass man eklatant in seinen Grundrechten eingeschränkt wird. Was demokratisch ist und was nicht entscheiden andere für uns. Wer sich dem nicht einverstanden erklärt, muss mit den etwaigen, auch undemokratischen, Konsequenzen leben. Sie wollen bestimmen, wie Protest auszusehen hat. Leise soll er sein und unauffällig, wenn es nach ihnen geht. Keiner soll ihn wahrnehmen, es sei denn, es ergibt sich ein Bild, dass nach Volksfeststimmung aussieht. Das ist ihre Demokratie und es wird immer deutlicher, dass sie nur diese auch als solche zu akzeptieren bereit sind. Alle, die anders darüber denken, sind keine Demokraten oder gar nach 129a vermeintliche Terroristen. Ein geschichtliches Déjà Vu könnten böse Zungen behaupten. Die demokratisch-politische Realität nennen es diese, die dafür die Verantwortung tragen. Wie eben genau die umzusetzen ist wird sich auch erst noch zeigen. Mit aller Härte, davon gehe ich aus. Das ganze Ding wird allen Beteiligten so richtig um die Ohren fliegen! Die gewaltätige Form des Protestes wird gerade zu herraufbeschworen, um dann richtig drauf los zu knüppeln. Eigentlich wäre es Zeit, dass JEDER sagt: "Es reicht!. Bis hier und nicht weiter. Lasst uns aufstehen und die Faust heben."
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