17.8.07

Nur einen Tag Aufmerksamkeit

Sie feiern Weihnachten, weil die Kinder auch "europäisch" aufwachsen sollen. Sie bekommt trotz akademischer Ausbildung wenn überhaupt nur einfache Hilfsjobs in Reinigungfirmen oder so. Er studiert immer noch und liebt Fußball.
Sie versuchen, ein bürgerliches Leben in einem bürgerlichen Viertel zu leben. Die Kinder gehen auf gute Schulen, sie sind im Sportverein.
Sie sind Freunde der Familie.

Wobei Familie bei ihnen zuhause einen viel größeren Sozialverband meint als bei uns hier. Vorgestern haben sie unzählige Familienmitglieder verloren. Enge Verwandte wohl kaum, denn die sind entweder im europäischen Ausland oder tot.

Gestern sprachen viele deutsche Medien noch lange von rund 200 bis 400 Toten bei dem massiven Terrorangrif auf zwei kurdische Städte am Dienstag, sie wussten da schon, dass es weit über 500 bis 700 waren. Sie hatten mit Überlebenden in der alten Heimat telefoniert.
Warum die deutschen Medien erst mit geringeren Opferzahlen aufwarteten? Weil der Bodycount wohl genauso zynisch ist, wie die Ermittlung der Teilnehmerzahlen bei Latschdemos. Die "offiziellen" Stellen rechnen die Zahl wahrscheinlich herunter, die Betroffenen nennen die höchstmögliche Zahl. Tote sind eine Ware auf dem Medienmarkt.

Weil die amerikanischen und offiziellen irakischen Truppen, die marodierenden Terroristen und Warlords gerade mit einer großen Welle aus dem Zentralirak vertreiben, greifen diese jetzt im militärisch größtenteils ungeschützten Norden an. Genauso wie die auf EU-Mitgliedschaft wartende Türkei und der Iran feuern sie jetzt auf Kurden.
Diese leben, nach dem sie von der Verfolgung und Unterdrückung des Saddam-Regimes befreit wurden, jetzt in einem herrschaftsfreien Raum. Keine große Verbesserung, da sie von allen Machthabern der Region als ewig störendes Volk angesehen werden.
Sie aber als reine Opfer zu sehen, greift auch zu kurz. Selbst die kurdischen Freunde, die mir das Geschehen etwas näher erscheinen lassen als die Medien, sagen mit dem distanzierten Blick der Exilanten, dass die eigene politische Elite vor lauter Saufen, Fressen, Ficken und schmierigen Geschäften die Etablierung staatlicher Gewalt und zivilgesellschaftlicher Strukturen vergisst. Ob die rund 300 Peschmerga, die jetzt in den angegriffenen Regionen für Ordnung sorgen sollen, die Situation in den Griff bekommen, ist dahingestellt.

Das Schicksal der einfachen Kurden, die nicht die Chance hatten nach Europa zu flüchten, die nicht die Vorbildung hatten, um hier den Versuch eines bürgerlichen Lebens zu starten, ist zum Verzweifeln. Es gibt keine einfache Konfliktlösung. Es gibt keine einfachen Schuldigen. Sicher, die USA und ihre Koalition der Willigen haben Chaos und Anarchie in die Region gebracht. Vorher aber galt Diktatur, Verfolgung und Unterdrückung. Und die Rollen der Türkei, des Irans und der eigenen Politikerkaste sind auch alles andere als heldenhaft.
Aber wer ist da noch unbelastet, wer soll da noch Unterstützung bekommen? Das einfache Volk ist dann gern die Antwort. Und so richtig sie ist, so irreal ist sie. Wie dem einfachen kurdischen Volk helfen, wenn das nicht geht ohne Kollaboration mit den korrupten Eliten und den imperialisitschen USA?

Ich bin ratlos. Ich ärgere mich darüber, dass das Thema heute schon nur noch auf den hinteren Seiten des Politikteils meiner Zeitung verhandelt wird. Der Irakkonflikt ist zu alt, zu langwierig, zu verworren und zu weit weg, als dass er in den großen Medien mehr sein könnte als alltägliche Horrormeldung. Immerhin und doch nur eine Meldung. Keine Debatte.
Und dann weiß ich aber auch, dass mich das dieses mal auch nur ärgert, weil Freunde persönlich betroffen sind. Weil das Leid in der alten Heimat bis in den Versuch eines neuen und friedlichen Lebens hinein wirkt. Ich habe keine Freunde aus Darfour. Ich kenne keine Tschetschenen. Ich kenne auch die Familien der in Afghanistan getöteten deutschen Soldaten nicht.
Nur so kann ich mir die analytische Kälte erlauben, den Kopf darüber zu schütteln, dass drei tote deutsche Polizisten interessanter für die mediale Wahrnehmung im Lande sind als viele hundert Kurden. Es kommt eben nicht nur auf die Quantität der Ware "Tote" an, sondern auf die Qualität. Angehörige der drei werden mich jetzt aus ihrer Sicht zurecht ekelhaft finden.

Der eine Tag Aufmerksamkeit, den Täter wie Opfer des Anschlags auf die Kurdenstädte bei uns noch bekamen, ist für die Täter zuviel und die Opfer zu wenig. Aber würden ausgiebigere Berichte etwas ändern? Würde Schweigen helfen? Tue ich mir einen Gefallen, wenn ich mir diesen Konflikt, die Wut und die Trauer der Freunde zu eigen mache?

Ich fühle mich komplett überfordert, eindeutige Aussagen zur Lage dort im Nordirak zu treffen. Aber ich weiß, dass unser Asylrecht, die alltägliche Schikane von Migranten in unseren Behörden angesichts solcher Konfliktsituationen eine Riesensauerei ist. Dass die Ehefrau der befreundeten kurdischen Familie keine deutsche Staatsbürgerschaft bekommt, weil sie zu wenig verdient aber eben keinen richtigen Job bekommt, weil sie keine Staatsbürgerin ist, ist da noch nicht das allergrößte Übel. Sie hat immerhin eine unbefristete Aufenthaltsgenehmingung.
Ich hoffe aber, dass all die Politiker und Beamten die in den vergangenen Wochen angefangen haben, Kurden den Flüchtlingsstatus zu nehmen, weil sie im Irak nicht mehr staatlich verfolgt werden, ganz schnell umdenken und noch schneller bis zur Einsicht vom eigenen schlechten Gewissen in schlaflosen Nächten gequält werden.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Eine gute Darstellung dieser egoistischen Situation, die ich leider so nicht schreiben konnte, aber gerne hätte.
Es ist ein Leichenzählen von Gleichen und Gleicheren Menschen.