29.9.07

Just an ordinary day

Der Tag, an dem Leonie ihr Leben beendete, war ein ganz gewöhnlicher Tag.

Ich stand gegen halb neun auf, trank zwei Tassen Kaffee und versuchte in den Tag zu starten. Ich hätte ein paar Freundinnen anrufen können. Wir hätten in Paul's Boutique gehen und uns früh ein paar Gläser kalifornischen Rotweins hinter die Binde kippen können und hätten jede Menge Spaß gehabt.
Aber ich musste arbeiten.
Im Büro ließ sich meine Chefin mal wieder über die Kollegin aus. Bei allem Verständnis für eine alleinerziehende Mutter zweier Kinder, aber die ewigen Ungenauigkeiten kann sie ihr nicht länger durchgehen lassen. Es ist doch unökonomisch, wenn sie als Chefin ihr dauernd alles korrigieren muss.
Ich machte mich an die Ablage, sortierte wie seit Wochen, die alten Ordner mit den Verfahren seit 1982 in die neuen Aktenschränke. Gegen 11:50 Uhr machte ich mir und der Chefin einen Tee und schaute aus dem breiten Fenster im zweiten Stock in den Sommer draußen. Die Chefin wollte irgendetwas wissen von mir und ich drehte mich um, schaute über meinen Rechner, an dem ich gleich noch ein paar Urkunden ausstellen sollte und versuchte, ihre Frage zu beantworten. Ich hatte keine Lust mehr. Mir war, als ob an meinem Auge ein Schatten vorbeizog.

"Sie haben doch wirklich Glück dieses Jahr! Den besten Abschluss ihrer Fakultät, die Hochzeit mit einem so liebenswerten Mann und nun werden sie uns demnächst verlassen für einen spannenden Job in einem internationalen Büro! Also davon träumen doch andere!" Leonie lächelte und antwortete ihrer Chefin etwas zustimmendes und sagte, sie müsse noch mal kurz was erledigen. Auf der Fahrt in den Talkessel hinunter blendete das Sonnenlicht auf der leicht verdreckten Frontscheibe ihres VW Polo. Im Radio suchten sie den Feelgood-Hit für den Sommeranfang.
Auf der Höhe des Zeitungskiosks zwei Kreuzungen vom Museum entfernt stand ein Pärchen vor einem italienischen Kleinwagen, unter dessen Motorhaube es qualmte. Die beiden sahen glücklich aus und Leonie musste lächeln.
Sie stellte den Wagen etwas früher als gewohnt in eine Seitenstraße und lief durch den Park. Sie ging durch den unteren Eingang ins Gebäude, lief auf die Ebene des Foyers und wartete mit einer Gruppe älterer Herrschaften auf den Aufzug. Im zehnten Stock angekommen fand sie einen offenen Sitzungsraum.

Ich mochte diese kühle funktionale Architektur der späten 1950er Jahre. Die Räume wirken flach, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Die großen, breiten Fenster tragen zu diesem Raumgefühl bei. Mich hat es immer ein wenig verwundert, dass sie sich einfach so öffnen ließen.

Auf den Schatten folgte ein dumpfer Schlag. Und mit etwas Verzögerung Schreie. Unten lag ein Frauenkörper tief im Gras. Sie hatte ein sommerliches Kleid, eine leichte Jacke und Sportschuhe an. Das Gras war saftig und glänzte in der warmen Sonne. Drüben im Biergarten saßen Menschen mit flexiblen Arbeitszeiten und freuten sich am Frühschoppen.

Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, an dem Leonie an mir vorbei flog und über Monate ein Loch im Rasen hinterließ.



(Ich weiß nicht, ob Leonie Leonie hieß. Es ist eine mögliche Version einer wahren Begebenheit.)

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

statistisch gesehen war leonie ärtztin, die haben eine 5,7 mal höhere suizidrate als der durchschnitt der bevölkerung.

ein verünftiges adjektiv will mir so recht nicht kommen zu diesem text, gut wäre daneben genauso wie interessant, anrührend träfe es nicht und wäre irgendwie geheuchelt.

also sage ich mach weiter mit den schriftlegerischen veruchen ich lese sie gern.

pauls boutique auf dem kleinen schloßplatz- those were the days...

Anonym hat gesagt…

"Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, an dem Leonie an mir vorbei flog und über Monate ein Loch im Rasen hinterließ."

Das haut so richtig rein zum Schluss. Bei mir zumindest.

Argh! hat gesagt…

Großartiger Text wie ein Schlag in die Magengrube.