28.11.07

Der optimale Bremspunkt

"Eigentlich nicht." Es war überhaupt nicht seine Idee gewesen, hierher zu kommen. Er wusste, dass dies nur die verfaulende Kulisse schlechter Hoffnung und eine Art historisches Disneyland für Kleinbürger und Geldadel aus aller Welt war. Er konnte Venedig nicht leiden.
Sie wollte unbedingt hin. "Aber Schatz, ich hab doch gesagt, du sollst mir keinen Gefallen tun!" Er dachte, er wird es schon überleben.
Sie waren noch keine zwei Stunden unterwegs über Brücken und in Gassen, im Gedrängel und sogar in den zauberhaft stillen Winkeln neben den Hauptrouten, doch seine miserable Laune war nicht mehr zu verbergen. Irgendwo in einer Bar sitzen, Salzgebäck knabbern und einen Aperol trinken. Nur nicht in dieser Stadt. Nicht in dieser Scheiß-Stadt. Nicht in dieser Taubenscheiße.Und nicht mit Sabrina.

Ravenna vielleicht. Weniger, weil er dort vor ein paar Jahren anlässlich des Grand Prix von Imola in einem netten Hotel war. Auch nicht, weil Ravenna vorhin von dem Tourist-Guide im Rahmen eines Vortrages zur Geschichte der Serenissima (was für ein selbstherrlicher Titel für dieses dämlich Piratenkaff auf malariaverseuchten Schlickhügeln im Brackwasser der Adria)erwähnt wurde. Nein, in Ravenna hatte er Loredana getroffen.
Sie war von seinen damaligen Gastgebern damit beauftragt worden, sich während seines Aufenthaltes um ihn zu kümmern. Sie zeigte ihm die Stadt mit all ihren Mosaiken. Sie ging mit ihm zum Rennen und er war hin und weg davon, wie diese kultivierte und intellektuelle Person derart emotional darauf reagieren konnte, dass ein par Gasgeber überzüchtete Motoren quälten und Unmengen fossiler Brennstoffe verballerten, nur um möglichst lebensgefährlich im Kreis zu fahren.
Seit diesem Tag schaute er, wann immer es sich einrichten ließ und sehr zur Verwunderung seiner Bekannten, Formel 1 im Fernsehen. Dabei hatte er keine Ahnung von diesem Sport. Für ihn war Schumachers optimaler Bremspunkt in der Spitzkehre vor der Boxengasse die einzige Möglichkeit, sich den vom wilden Mitfiebern bebenden Oberkörper, die fliegenden dunkelblonden Haare, den vor Anspannung selig aufgerissen Mund und die vor Begeisterung funkelnden braunen Augen Loredanas zu erinnern. Sie saßen abends bereits beim Dessert, als ihr Mobiltelefon klingelte. Sie bitte vielmals um Entschuldigung, aber ihr Vater sei am Telefon, die Mutter hätte unvermittelt ins Krankenhaus gebracht werden müssen und sie müsse deshalb dringend ins Elternhaus nach Venedig. Sie hatte Tränen in den Augen. Sie sah schön aus. Sie verabschiedete sich.

Sabrina war wütend. "Hörst du mir überhaupt zu? Ich finde es erbärmlich, dass du mir erst jetzt sagst, dass du hier 'eigentlich nicht' hin wolltest. Das ist doch die denkbar beschissenste Voraussetzung für eine Hochzeitsreise!"

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