7.4.08

Flipping Out

Wunderschöne Berglandschaften nehmen einen ein und lassen glauben, hier könne mensch wirklich abschalten. In diesen Bergen im Norden Indiens gibt es etwas, was Yoav Shamir, der Regisseur des Films "Flipping Out", auf der diesjährigen Berlinale im Nachgespräch zur Vorführung des Films ein "Parallel-Israel" nennt. Hier an einem der Ziele der alten Hippietrails kommen unzählige Israelis um die 21 nach dem Militärdienst an, um ihren Entlassungssold zu verfeiern, um Urlaub zu machen nach drei Jahren Militärdienst, der in Israel immer schon, rund um die zweite Intifada und den bisher letzten Libanonkrieg aber insbesondere, Front- und Kampfeinsatz bedeutet.
Die Kids, die bald nach der Armee schon sehr hippiesk aussehen, haben den Gehorsam der Armee, die Parolen der Vaterlandsverteidigung, oft auch das Töten und Getötetwerden verinnerlicht. Die meisten von ihnen spannen in den nordindischen Bergen nicht nur aus, sie dröhnen sich zu. Viele mit mehr als nur den "weichen" Drogen. Sie sehen aus wie Hippies, so friedlich. Doch den wenigsten geht es um den Frieden auf Erden, um die Bewusstseinserweiterung durch den LSD-Trip oder eine mögliche andere Welt. Ihre Rebellion geht über den Konsum von Rauschmitteln nicht hinaus.

Ich finde es schon so unerträglich, selbst nüchtern bekifften Menschen zuzuhören. Wenn diese aber aber stolz in ihr benebeltes Gekicher hineinpöbeln, dass ihre Armeenummer ihr Name gewesen sei, dann schmerzt das angesichts der unheilvollen Geschichte von Namen ersetzenden Nummern während der Shoa.
Auch das Herrenmenschengehabe, mit dem die blutjungen ExsoldatInnen abfällig über die indischen GastgeberInnen sprechen, wie sie sie mit den Palästinensern zusammen zu "dummen Kindern" marginalisieren, ist mehr als nur traurig.
Mensch kann nur hoffen, dass die Zeit kommt, der Abstand größer wird und sie selbstbewusst und kritisch über ihre Armeezeit und den ausgeflippten Urlaub danach nachdenken. Im Urlaub selbst, wenige Wochen nach drei Jahren Drill, Gehorsam und Lebensgefahr, im Rausch ist das wohl kaum möglich.
Hin und wieder dreht einer durch. Meist Männer. Solche Extremfälle werden dann, wenn alles gut geht, durch ein Netzwerk von missionarisch tätigen orthodoxen Juden, Anlaufstellen des israelischen Staates in den indischen Pilgerzentren für israelische Ex-SoldatInnen und (zumindest im Film) einem beherzten Ex-Mossad-Agenten, eingesammelt und nach Israel zurückgebracht. Es gibt wohl in Israel Versicherungen, die das Risiko solcher Ausraster finanziell auffangen und bspw. den Rücktransport bezahlen. Ich weiß nicht mehr, ob das im Film gesagt wird oder die Info aus dem Berlinale-Gespräch mit dem Regisseur stammt.

Ganz gleich, ob Israel sich in einem Verteidigungszustand oder Angriffskrieg gegenüber den arabischen Nachbarn befindet (wer vermag das schon eindeutig zu entscheiden?), "Flipping Out" zeigt unabhängig von solchen ideologischen Fragen, welche gesellschaftlichen Eruptionen drohen, wenn die gerade einmal volljährig Gewordenen eines ganzes Volkes über Jahre und Jahre in den Krieg ziehen.
Wie geht eine Gesellschaft um mit all den jungen Menschen, die vom Krieg traumatisiert, durch den Drill unkritisch geworden, mit Steuergeldern zeitweilig in den Drogenrausch geflüchtet, mit Anfang 20 ins Erwachsenenleben gehen? Wie leicht fällt es einer solchen Jugend, Perspektiven für eine Friedenszeit zu finden? Um wie viel schlimmer muss es um all die Kriegsheimkehrer bestellt sein, die nicht zum Abspannen und Kiffen nach Indien fahren können? Die keine staatliche Infrastruktur vorfinden, die sich mit Psychologen, Ärzten und Sozialarbeitern um die psychisch Gefallenen der eigenen Armee kümmert?
Wie zerstört sind die Seelen der Intifada-Kämpfer? Aber auch der GIs, die nach dem Irakeinsatz allein gelassen in ihren Trailerparks versauern. Wie nur sind unsere Großväter, die ähnlich jung für den Führer Europa verheerten und die Shoa mit vorantrieben, nach 1945 klargekommen?
Fragen, die sich mir durch das Anschauen von "Flipping Out" nicht nur analytisch gestellt haben, sondern auf einmal Bilder und Emotionen an die Seite gestellt bekamen, die kein Geschichtsbuch und kein uralter Veteran hervorrufen konnten.
Hier erzählt eben nicht Opa vom Krieg, sondern ein kleiner Bruder. Krass.

Morgen, Dienstag 08.04.2008 gibt es in Berlin die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen. TOP B3RLIN (Theorie Organisation Praxis) zeigt im Rahmen des Solitresens im Checkpoint Scharni "Flipping Out". Los geht's um 20 Uhr.

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