Wie bleibe ich gefügig
Es ist naiv, anzunehmen, dass innerhalb einer Regierung Gesetzesentwürfe von irgendwem aus dem Nichts eingebracht werden und dann jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen darüber abstimmt.
Gesetzentwürfe werden vor der Abstimmung ganz lange innerhalb der Koalition verhandelt. Das kann Monate gehen (oder Jahre oder darauf rauslaufen, dass eine Koalition ein bestimmtes Gesetz eben gar nicht einbringt oder ändert). Am Ende steht ein Kompromiss, der von den Verhandlungsvertretern der Koalitionsparteien ausgehandelt wurde, im Glauben, die jeweiligen Parteien können dem Kompromiss zustimmen.
Das geht in Koalitionen kaum anders. Und so wird jeder mal eine bittere Kröte schlucken müssen, um etwas anderes durchzusetzen.
Die Erweiterung der Videoüberwachung im Rahmen der ASOG-Novelle in Berlin war für die LINKE solch eine bittere Kröte, die sie sich versüßt hat durch die lange geforderte Kennzeichnungspflicht für Polizisten.
Ist dieser Kompromiss parteipolitisch nachvollziehbar?
Nein, denn er vergrätzt all jene, die der LINKEN im Rahmen der Vorratsdatenspeicherungsdebatte auch nur ansatzweise abgenommen haben, dass sie sich als neue Bürgerrechtspartei profilieren will. Irrwitzigerweise hat daran genau der Teil der Partei schuld, der diese Profilierung sucht, weil er Teil der Öffnung hin zu linksliberalen Wählerschichten wäre, also dem Fischen im Teich der Grünen (die diesen ihren Teich ja bereits am rechten Ufer verlassen haben). Dumm gelaufen für die Reformer in der LINKEN...
Also hat sich die Berliner LINKE damit in eine Krise gebracht?
Kurzfristig wohl nicht mehr als an sich schon. Denn obwohl die aktiven LINKE-Mitglieder größtenteils keine SED-Altlasten mehr mit sich herumschleppen, kommt der Wählerstamm immer noch aus den Funktionärshochburgen der Ost-Berliner Altenheime. Das alte Ost-Stammwählerklientel ist konservativ, die sind für mehr Sicherheit, denn die gab's ja früher auch vom Staat.
Langfristig war es saudumm, einen solchen Kompromiss einzugehen.
1. Sterben die alten Wähler weg. Neue Wähler sind aber vor allem aus den staatsfernen Kreisen der sich neu formierenden Bürgerrechtsbewegung, aus dem Umfeld diverser politischen Cliquen ab attac und weiter links etc. pp. zu erhoffen. Aber nicht wenn gegen diese Klientel Politik gemacht wird. Der Kompromiss in Berlin war eine Entscheidung gegen eine zukunftsfähige LINKE.
2. Es stimmt zwar, dass in einer Koalition jeder zeigen muss, dass ihm der Erhalt des Bündnisses wichtig ist. Deshalb braucht es Kompromisse. Der Natur der Macht gemäß wird auch der kleinere Partner in einer Koalition kein gleichberechtigter Partner sein. Aber die Berliner LINKE erweist sich hier einmal mehr als willfährige Gespielin der SPD und nicht als eigensinnige Partnerin. Was wäre denn gewesen, wenn die LINKE vergangene Woche aufgrund der massiven Bedenken gegen die ASOG-Novelle von seiten mehrerer ParteifunktionärInnen der SPD gesagt hätte, dass sie keinen Abstimmungserfolg garantieren kann? Hätte die SPD und in diesem Fall ihr Innensenator es darauf angelegt, die Abstimmung zu verlieren, und damit eine große Regierungskrise in Kauf genommen? Oder hätten sie unter höhnischem aber harmlosen Lachen der Opposition und der bürgerlichen Presse der Stadt den Abstimmungstermin abgesetzt und nachverhandelt?
Ich glaube an letzteres, denn die SPD hat in Berlin keine andere Option als die Regierung mit der LINKEN. Die Grünen kuscheln mit der CDU, die FDP ist richtig richtig rechtsliberal und große Koalition mit der provinziellen CDU sind auch eher ein Alptraum als eine Möglichkeit.
Die LINKE verkauft sich in dieser Koalition unter Wert. Das geht nur, weil die Berliner Führungskräfte nicht mehr (oder noch nie?) an die Programmatik der eigenen Partei und deren Stärke glauben, aber gleichzeitig an ihren Posten kleben (ich wiederhole mich, ich weiß, aber ich kann's mir anders nicht erklären). Das ist gut für Wowereit und seine Mannschaft. Die können ihre Anliegen durchpeitschen. Und die Führungsriege der LINKEN muss dauernd irgendwelchen Parteiflügeln und Wählerschichten erklären, warum sie jetzt schon wieder gegen die eigene Propaganda gehandelt hat. Das geht auf Dauer nicht gut.
Dass ich nicht mehr weiß, wen ich wählen soll, ist kein großes Problem. Es gibt andere Arten, sich politisch zu engagieren, als nur mit einem Kreuzchen auf dem Wahlschein. Zur Not gründen wir eine neue Partei ;-)
Die Berliner LINKE aber trudelt in dieser Form der Regierungsbeteiligung langsam aber sicher in die Bedeutungslosigkeit. Die alten Wähler sterben. Und potentielle Neuwähler brauchen keine weitere Partei, die ohne Profil das Gegenteil dessen tut, was sie von ihr erwarten.
1 Kommentar:
"Dass ich nicht mehr weiß, wen ich wählen soll, ist kein großes Problem."
Piraten?
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