3.12.07

Blümchen 2

(der erste Teil ist hier)

Meine Freundin war aus gut bürgerlichem Haus. Vater Beamter, Mutter Verkäuferin. Sie war wohlerzogen. Sie trug Pollunder. Als wir Anfang meines neunten Schuljahres auf Schüleraustausch in der Nähe von London waren, war mir das zu langweilig. Ich hing lieber mit den Mädels aus der Klasse über uns rum. Die waren wild. Die hatten Doc Martens an und Blumen auf der Jeans. Und sie rauchten. Und suchten Auswege aus dem drögen Austauschprogramm.
Eine von ihnen war Anita. Blond, lockig, heiß. Sie konnte Hair und selbst die Songabfolge des Woodstocksfilms auswendig. Sie wünschte sich im Radio "Me and Bobby McGee". Sie erzählte vom Urlaub an der Ostsee mit ihren Eltern, in dem sie, gerade 16 geworden, diesen Mann getroffen hatte. Ganz einfühlsam hat er sie irgendwo zwischen Sanddorn und Dünengras in die Geheimnisse körperlichen Liebe eingeweiht. Wow!
Anita hatte bei einigen Neidern einen etwas zweifelhaften Ruf. Angeblich machte sie sich immer an die Hauptdarsteller des jeweiligen Projekts der Theater-AG unserer Schule ran. Als wir aus England zurückwaren, bekam ich diesen Job. Also zunächst den des Hauptdarstellers. Dann verlor ich die Wohlerzogene. Sie warf mir vor, nicht wild genug zu sein.
Nach einer Theaterprobe im Winter knutschte ich das erste Mal mit Anita. Nach der Premiere, lotste sie mich zum Mißfallen der anderen Schauspieler aus der Kneipe, in der wir feierten, und in der die anderen mich, den Benjamin der Gruppe, abfüllen wollten. Anita ging mit mir auf den Rohbau eines bald zu eröffnenden großen Warenhauses und eröffnete meinen Hosenladen. Wow!
Wir träumten von Goa, wir hielten Kerzen gegen Nazis in die Luft, wir waren für den Frieden. Ihre Mutter fand mich doof, was mich umso attraktiver machte. Attraktiv fanden wir auch, mir mein gülden Eisenherz-Haar zu kleinen Zöpfchen zu flechten. Wir machten Liebe. Also, eigentlich wollte ich an ihren Brüsten rumspielen und ihr war es wichtig, penetriert zu werden. Ich fand mich miserabel und wusste sehr schnell sehr genau was ejaculatio praecox auf deutsch heißt. Aber Anita fand mich irgendwie gut. Mir war das schnell zu viel.
Anita ging ins Highschooljahr und experimentierte ein wenig mit Drogen in den USA. Als sie zurückkam, wurde sie bald achtzehn und machte den Führerschein. Die Eltern hatten Geld, der Papa war ein mittelhohes Tier in einem schwäbischen Weltkonzern. Also fuhr Töchterchen ab dem ersten Tag mit Fahrerlaubnis einen Benz. Die langen Haare wurden gekürzt und modisch frisiert. Die Blumenjeans mussten Köstümchen weichen. Nach dem Abitur begann sie, BWL zu studieren. Ich hätte das nicht gekonnt. Ich wäre im ersten Semester durch alle Klausuren geflogen. Aber irgendwann muss ja auch gut sein mit den Träumen von der besseren wilden Welt. Irgendwann muss mensch ja an die eigene Zukunft denken.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

i've seen the future. it's hopeless.