Zollprotokoll
Vor bald neun Monaten bekam ich den Auftrag, Reproduktionen von einer bestimmten, mehrere hundert Jahre alten, Auflage eines Buches zu besorgen. Bei einer US-Bibliothek wurde ich fündig. Also schickte ich am siebten Mai 2007 dorthin eine Mail, in der ich Mikrofilmkopien des raren Stücks bestellte.
Was seitdem geschah I
Was seitdem geschah II
Das vorläufige Ende ereignete sich heute am frühen Abend. Die bestellten Mikrofilme sollten bei der Berlinerzollabfertigung in meine Hände übergehen. Und das lief so:
17:35 Uhr: Natürlich liegt die Zollabfertigung nicht in der Nähe öffentlicher Verkehrsmittel. Zufälligerweise treffe ich an der Eingangstür einen lieben Menschen, der mir grob erklärt, was ich den Rest meines Lebens Abends tun werde:
17:40: Ich hasse Schlange stehen.
17:42: Ich muss angeben, was ich abholen will. Ich soll die Zollnummer unserer Uni angeben. Die Zollnummer kannte dort aber niemand, nicht einmal die zuständige Person in der Hauptkasse. "Kieken wa mal, wat wa machn könn", sagt der Zollbeamte und schickt mich mit dem Original meiner Customs Declaration in den Wartesaal. 12 Menschen warten vor mir.
17:59: Nur noch elf Menschen. Der zwölfte ist tatsächlich aufgerufen worden. Keiner vor mir zeigt Anzeichen von Schwäche. Mal schauen, wie lange ich dem Kaffeeautomaten widerstehen kann.
18:05: Noch zehn. Macht bei sechs Minuten pro Wartendem eine Stunde, bis ich drankomme.
18:07: Die Beamten brechen in hektische Geschäftigkeit aus. in 23 Minuten haben sie offiziell Feierabend. Binnen zweier aufeinander folgenden Minuten schon wieder zwei Aufrufe. Der Bodycount bis zu meinem Aufruf steht somit bei minus acht.
18:08: Der Typ neben mir versucht, sich vorzudrängeln. Aber offensichtlich wird er ignoriert von den Beamten. Um mich herum ansonsten offensichtlich nur erfahrene Beim-Zoll-WarterInnen. Haben alle Lesestoff oder Freunde/Verwandte dabei.
18:11: Noch sieben vor mir. Wenn ich richtig gezählt habe.
18:14: Denke über das zufällige Treffen vorhin nach. Anne wohnt im Osten der Stadt und war als Privatperson hier, meine Uni ist im Südwesten der Stadt, ich bin für den Arbeitgeber hier. Kann es sein, dass alle Warensendungen für alle 3,5 Millionen Berliner und die hier ansässigen Firmen und Institutionen, die der Zoll an sich reißt, hier landen? Bei geschätzten 10 Beamten? Ohoh.
18:16: Doch noch einer aufgerufen. Tempo der Aufrufe verlangsamt sich wieder.
18:18: Es gibt ein "IT-Verfahren der Zollverwaltung". Das erspart die Warterei hier, behauptet das Werbeplakat. Aber doch nur, wenn ich vorher gewusst hätte, dass meine Bestellung von denen abgefangen wird.
18:20: Noch fünf vor mir. Es hängt übrigens ein Portrait von Horst Köhler im Wartesaal der Zollabfertigung.
18:26: Noch vier.
18:27: Wie wird mensch eigentlich Zollbeamter?
18:29: Jemand wurde aufgerufen, aber es bewegt sich keiner. Ah, jetzt doch.
18:30: Und gleich noch einer. Nur noch zwei.
18:31: NEIN! Ich bin schon dran! Hatte mich doch verzählt. Und nur 48 Minuten gewartet.
18:37: Da hatte ich mich wohl getäuscht, als ich dachte, olle Mikrofilme müssten nicht verzollt werden. Der Zoll möchte noch 43 Euro nochwas haben, weil auf die Ware irgendeine Steuer (Umsatz-?) und die Zollgebühr entrichtet werden müssen. Auf einen Warenwert von rund 190 Euro. Na dann. Leg ich eben meiner Uni mal kurz die Kohle aus. Als studentische Hilfskraft verdiene ich ja auch Unmengen.
18:38: Jetzt muss ich an der Kasse warten. Der Beamte, der mich umsorgte, hat das Formular noch nicht fertig, dass die Kasse benötigt, um mir die 43 Euro nochwas abzuknöpfen.
18:50: Ich warte. Der Beamte, der mich umsorgte, hat das nötige Formular bereits vor acht Minuten auf elektronischem Wege in die zehn Meter entfernte Kasse gesandt. Keine Ahnung, über welchen Server. Noch jedenfalls will die Kasse mich nicht sehen.
18:52: Frau L. hat ein Riesenpaket bekommen und wusste nicht was drin ist. Jetzt ist das Paket aufgerissen und sie weiß nicht, wie sie diese vielen Dinge nach Hause transportieren soll. Mein Päckchen würde in die Jackentasche passen. Aber erst, wenn ich zahlen durfte.
18:54: Der Beamte, der mich umsorgte, war wirklich nett. Zumindest inszeniert er sich so. Denn eigentlich hätte ich ja die Zollnummer wissen müssen. Ja, ganz eigentlich hätte die ganze Zollformalität gar von der zuständigen Stelle bei meinem Arbeitgeber erledigt gehört. Unis haben nämlich so eine Stelle, sagt er. Aber er nahm sich meiner an und hat das alles gemacht. Zehn Minuten nach Feierabend. Danke.
18:59: Ich werde zur Kasse gebeten.
19:01: 43 Euro nochwas ärmer aber mit Quittung lausche ich, wie drei Zollbeamten einem gut gekleideten Herrn Anfang 50 vorwerfen, er habe versucht, den Zoll zu täuschen, da er verzollbare Ware in einem Plastikkinderspielzeugtier versteckt am deutschen Staat vorbei einführen wollte. Das Plastikkinderspielzeugvieh liegt in zwei Teilen auf dem Tresen, der Herr geht recht schnell, nachdem er seinen Widerspruch gegen die Anschuldigungen seitens der Zollbeamten abgegeben hat. Ich gehe auch.
19:03: Wofür habe ich gerade 43 Euro nochwas bezahlt? Ach ja, um das Päckchen auszulösen, dass ich vor acht Monaten und einer Woche bestellt hatte. Aber wieso habe ich das Päckchen dann jetzt nicht bei mir? Scheiße!!!
19:05: Die Eingangstür des Zollgebäudes ist abgeschlossen. Mist. Zum Glück kommt schnell jemand, der das Gebäude verlassen will. Ich renne zum Beamten, der mich umsorgte, und hole das Päckchen.
19:06: Wenn die Uni mir jetzt in den üblichen sechs Wochen Bearbeitungszeit die 43 Euro nochwas zurück erstattet, kann das Kapitel der Mikrofilmbestellung in den USA nach beinahe 10 Monaten beendet werden.
Wir harren der Dinge, die da kommen.
2 Kommentare:
Das Zeugs neben der Zollgebühr schimpft sich übrigens Einfuhrumsatzsteuer. Soll bloß ja keiner auf die Idee kommen, seine Waren und Dienstleistungen im Ausland zu erstehen, gar billiger, ohne rechtmäßige Abgabe des erbrachten Mehrwerts an Papa Staat. ;)
Für die Aktion haste dir aber ganz dicke den "Mitarbeiter des Monats" verdient!
....und meine schmutzige Phantasie sieht am Morgen danach zwei ungläubig staunende Menschen einen Mikrofilm betrachten und dann sagen: ''Watt?? - DAS sollen antike Bücher sein??''
Höhö. Nein, Wird schon nicht passieren.
Danke für diese Leidensgeschichte - eigentlich ist sie too good to be true, wie so oft im wirklich wahren Leben.
(Ähm: wegen der Gebühr hatte ich Dich aber...*g)
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