11.6.07

Wem gehört die Gewalt?

Ich brauche die Bilder von den (zugegbenermaßen nicht massenhaft stattgefundenen) unverhältnismäßigen Wasserwerfereinsätzen und Prügeleien durch die Polizei bei den Blockaden nicht. Genausowenig musste ich die entwürdigenden Käfige der Gefangenensammelstellen sehen.
Ich habe (bei einigen individuellen Ausnahmen) genug Polizeigewalt selbst erlebt in der vergangenen Woche, um zu verstehen, dass die Versuchung groß ist, nicht mehr nur friedlich zu agieren, wenn mensch der Staatsmacht gegenübersteht.

Nur ist Rache ein schlechter Ratgeber. Und grundsätzlich bleibe ich dabei, dass es mich diskreditieren würde, wählte ich die gleichen aggressiven, chauvinistischen und inhumanen Mittel wie der Gegner.

ABER:Wie lange bleibe ich ruhig, wenn mich etwas ankotzt und wann merke ich, dass ich zulange ruhig geblieben bin?
Wann wurden Verfassung, Freiheit und Bürgerrechte in Deutschland soweit ausgehöhlt, dass der Punkt gekommen ist, an dem ich merke, dass ich mich nicht mehr mit Petitionen, dem Gang zur Wahlurne, Latschdemos oder hippieskem Blockieren wehren kann?

Und wieso schreit die ganze Republik reflexartig auf, wenn hochgerüstete Kampfeinheiten der Polizei angegriffen werden, ohne abzuwarten, bis sich die Rauchschwaden gelichtet haben und langsam herauskommt, dass gar nicht so viele Polizisten verletzt wurden, dass gar nicht soviel Sachschaden entstand, dass ein Teil der Randale wohl auch von den agents provocateurs der Polizei ausging, dass die ganze Randale vor allem der Regierung genützt hat???
Und wieso schreit dabei relfexartig die ganze Republik auf, schweigt aber recht beharrlich, wenn die Knutschkumpel unser Kanzlerin im Irak, in Tschetschenien oder mit deutscher Unterstützung in Afghanistan Krieg führen?
Wieso überlassen wir das Gewaltmonopol einer Regierung, deren Mitglieder Menschrechtsverletzungen wie in den Fällen El Masri und Kurnaz dulden, decken oder mitverantworten?
Warum ehrt die Bundesrepublick undemokratische Aristokraten wie Graf Stauffenberg für Bombenanschläge (Gewalt!) gegen Hitler, aber nicht die genauso gewalttätigen Anschlagsversuche durch Kommunisten in der Frühzeit der NSDAP?

Warum erlauben wir es unserem Staat, Gewalt auszuüben und anderer leute Gewalt zu legitimieren UND uns als Individuen die Gewalt zu verbieten?
Die zunächst einleuchtende Antwort lautet: Weil es vernünftig ist, dass Gewalt kontrolliert wird. Wer aber kontrolliert die staatliche Gewalt?
Sind dass Menschen, denen ich vertraue? Wenn Vernunft nicht mit Kritk einhergeht, kann sie zur Blindheit werden.
Wieso geht die staatliche Gewalt so gern gegen das linksextreme Spektrum vor, obwohl die rechten Straftaten stärker zunehmen? Weil es in absoluten Zahlen immer noch mehr linke Straftaten gibt als rechte? Oder weil die Geschichte gezeigt hat, dass Nazis im Zweifel eher mit den Konzernen kooperieren?
So krass wird es wohl nicht sein.
Aber der harte Umgang mit den sogenannten Linken liegt sicher auch darin begründet, dass die Mächtigen im Lande sich zusammensetzen aus paranoiden kleinbürgerlichen Angsthasen und Konzernlobbyisten. Die beiden Lager wollen keine andere Welt. Und wenn wir diese andere Welt möglich machen wollen, könnte deshalb der Tag kommen, an dem uns die großen Tiere nicht aus Einsicht einfach so und friedlich an ihre Tröge lassen...

Die Randale am 2. Juni in Rostock war und bleibt dumm. Ich für mich will, soweit es geht, aus moralischen Gründen keine Gewalt anwenden. Aber die Gewalt unhinterfragt den Staatsorganen als Monopol zu überlassen, dass ist ebenso dumm.
Erst recht, wenn die Entscheidungsträger dieses Staates jeden Tag ein neues Kontroll- und Überwachungsgesetz erfinden. Erst recht, wenn dieser Staat wie in und um Heiligendamm einfach mal so der Armee Polizeiaufgaben überträgt.

Auch wenn wir noch ganz weit weg davon sind, die Bundesrepublik hat in den vergangenen Wochen ein bis zwei weitere Schritte in Richtung Polizeistaat gemacht.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Protestierer eine Woche lang mit kreativen Aktionen gezeigt haben, dass es noch kritische Stimmen gibt und sie dabei viele Sympathien gewonnen haben.

Wer's bis hierher geschafft hat, kann auch hier noch zum gleichen Thema weiterlesen.

4 Kommentare:

DonDahlmann hat gesagt…

Dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt ist in Ordnung. Grundsätzlich gesehen sollte die Judikative einschreiten, wenn es der Staat und/oder seine Organe übertreiben. Und da klafft in Deutschland noch eine Lücke. Es müsste mehr mutige Richter und Staatsanwälte geben. So lange man Polizisten, die ja auch ohne Namensschild los prügeln, nicht nach so einer Sache festnageln kann, besteht da ein Ungleichgewicht.

Anonym hat gesagt…

Bezüglich des taz- Artikels: Warum der Aufschrei unterblieb, ist ziemlich klar. Jene Bilder, die prügelnde, pardon, mit erhobenen Knüppeln auf friedlich aussehende Demonstranten zugehende Polizisten zeigten, waren nach kurzer Zeit wieder aus dem Netz verschwunden, bzw. "gesperrt".

Ausserdem hat die von Schäuble zu verantwortende Desinformation gut funktioniert, nahezu alle Zeitungen haben in sein Horn geblasen (die einzige Zeitung die halbwegs korrekt berichtete, war die Süddeutsche).

Geradezu katastrophal hat sich die, mehr als drei Tage nicht korrigierte Falschmeldung von dpa, über mehr als tausend Verletzte ausgewirkt.

(Zu diesen Vorgängen habe ich ständig berichtet und kommentiert.)

Wichtig scheint jetzt, alle diese Beobachtungen als Zeugenaussagen zu bündeln und den betrauten Anwälten mitzuteilen. Vielleicht sollte ein eigenes Blog gebildet werden, in dem verwertbare Beobachtungen von Zeugen gesammelt werden.

Anonym hat gesagt…

Lieber Björn, es sind diese Trippelschritte. Wie bei der Echternacher-Springprozzession. Zwei vor und einen zurück. Wir sehen das es auch wieder zurück geht, weil wir das hoffen. Das auf jedes Zurück zwei nach vorne gehen, sehen wir zwar wollen es aber nicht wahr haben.

Wir sind bereits in vielen Bereichen ein Polizeistaat.

Manuel hat gesagt…

da muss ich jochen leider recht geben. Polizeistaat sind wir schon lang, nur gab es schon lang keine "so" gewalttätigen Auseinandersetzungen mehr.
und klar wird gegen linke gruppen stärker vorgegangen, sind sie doch meist antikapitalistisch und antinational. das kann ein staat natürlich nicht so stehen lassen. also wird geprügelt. doch wer auf die "rettung der welt" hofft, wird auch nicht drumherum kommen gegen staat und kapital zu sein. ob gewalt das richtige mittel ist dies auszudrücken, wage ich zu bezweifeln, aber vielleicht verweigerung.
gewalt ist immer zeichen der Ohnmacht und gewalttätige gruppen, wenden sie ja auch nur an, weil sie wissen wie aussichtslos die lage ist. steine werden die Klimakatastrophe und den "untergang" afrikas nicht aufhalten, aber Staatschefs, die immer im interesse ihres landes handen müssen und wollen, erst recht nicht.